Jonas Hoedicke hat bei den Malern Markus Lüpertz und Siegfried Anzinger an der Kunstakademie Düsseldorf studiert. Die wohl entscheidenste Prägung erhielt er aber durch seine vor dem Studium absolvierte Lehre als Steinbildhauer bei einer kleinen Düsseldorfer Firma. Unübersehbar hat ihn diese Erstentscheidung in seiner Werkentwicklung geprägt und, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, war das eine richtige und folgenreiche Weichenstellung.
In der Auseinandersetzung mit der Skulptur der 1920er Jahre suchte er erste Anknüpfungspunkte. Insbesondere Oskar Schlemmers Modellfigur und dessen Idee vom Menschen als Mikrokosmos, del den Makrokosmos widerspiegelt“ inspirierte ihn. Um sich auf eigene Weise selbst zu erklären und seine Kunst auf einen unabgeschlossenen Möglichkeitsmodus zu bringen, war außerdem die Beschäftigung mit dem Werk von Norbert Kricke richtungsgebend. Kricke gehört zu den wichtigsten Vertretern der deutschen Nachkriegsmoderne. Seine raumplastischen Konzepte, die auf Metall und die Verwendung der Linie als Gestaltungsmittel basieren, haben Jonas Hoedicke den Weg in die Freiheit gewiesen. Was er plastisch erarbeitet hat, lebt in struktureller Hinsicht aus dem Geist Krickes. Intuition, Zufall und Komplexität balanciert Hoedicke aus mit Rhythmus und der Suche nach Dynamik. Damit touchiert er durchaus seine kunst-historischen Vorläufer und ist in jeder Sekunde doch Her über sein eigenes ästhetisches Feld.
Bevor Hoedicke ab 2013 zu malen anfing, hatte er mi Wesentlichen bildhauerisch gearbeitet. Ab 2009 verwendet der Künstler vorwiegend Aluminiumdraht. Verblüffend ist seine Gabe, einem plötzlichen Einfall Form zu geben. So entstanden nach einem seiner häufigen dreimonatigen Aufenthalte in Irland kleinformatige tänzerisch gewendelte Figuren in Drehbewegungen, deren Geschlecht unbestimmt ist, die mal breitere, mal schmalere Hüften haben. Sie treten einzeln und paarweise auf, stehen in Objektkästen, unter einer Glashaube bilden in vielfacher Verknüpfung ein Relief, liegen auf Kissen oder schweben – in ihrer jeweiligen Ausformung immer als Unikate. Darüberhinaus hat Hoedicke eine vollendet unangestrengte Bronze in einer Auflage von sechs Exemplaren geschaffen. Und bereits in diesen Figuren scheint auf, was den jungen Künstler auszeichnet: Es ist das Eigensinnige, eine Unbedingtheit, die ihn an sein Werk bindet, fast zu jeder Tages- und Nachtzeit. Hoedicke ist ein Charakter.
Er vermag derzeit nicht genau zu sagen, wo er hinwill, aber er ist sich sicher: „Ich gehe auf eine Reise. Wo ich lande, weiß ich nicht. Ich kann meinen Weg frei wählen und doch habe ich keine Ahnung, wohin er
mich führt. Das macht mir Spaß.“1
Es ist die Freude am Zufälligen, die ihn in seiner Arbeit animiert, das Sich-Einlassen auf das Unvorhersehbare. Im Tätigsein lasst er sich ins Offene ziehen – intuitiv und zugleich zielstrebig. „Kunst entsteht für mich beim Arbeiten.“2
Jonas Hoedicke – Studium bei Markus Lüpertz und Siegfried Anzinger an der Kunstakademie Düsseldorf
Eine Serie fotografische Abbildungen seiner Drahtfiguren mi Raum bildet das Bindeglied zur Malerei. Sie strahlen eine angenehme Weichheit aus und haben eine atmosphärisch warme Ausdrucksseite. Die Figur ist eingebettet in einen Hintergrund, der wie eine Fläche der Unerreichbarkeit wirkt. Vielleicht auch wie
ein Nebel der eigenen Sehnsüchte, die man sogar vor sich selber verbirgt. Das Motiv, stringent entwickelt, berichtet von einer existenziellen Verlorenheit. Es markiert die Hälfte des Weges ins Keilrahmengeviert, wo Jonas Hoedicke kurze Zeit später mit der Entfaltung seines malerischen Programms beginnt. Seit etwa drei Jahren wird dieses von drei Kategorien geprägt: dem Blick auf das Berliner Stadtbild, freien Figurenbildern sowie einer Synthese aus beiden Orientierungen.
Hoedickes Wohnatelier befindet sich im unmittelbaren Umfeld des Potsdamer Platzes in einem der dort seltenen alten Fabrikgebäude Und so taucht das architektonische Gesicht Berlins relativ pur in sei- nen Bildern auf. Hoedicke hat übrigens die Gabe, Situationen in einer formalen Wendung umzudrehen. Inmitten einer scheinbar gesehenen Szene reißt dann etwas auf, etwas Verunsicherndes. Entstanden sind Bilder, die nach allen Regeln der Stadtbildmalerei gearbeitet sind. Man hat ja lange vor diesen Veduten die Großstadtmalerei erfunden und Hoedicke versteht es, mit der Visualisierung von Ereignisformen des Metropolitanen Momentaufnahmen zu schaffen, die dem Flüchtigen auf der Spur sind und damit unübersehbar einen Bogen schlagen zu den „Wilden“ vom Moritzplatz der 1980er Jahre, genau so wie zu den Heftigen vom Ost-Berliner Prenzlauer Berg und sogar weiter zurück bis etwa zu Ludwig Meitners vibrierendem „Ich und die Stadt“ von 1913. Hoedickes Stadtbilder zeigen sich stabil in der Anlage, sind zuweilen aus abstandhaltendem Blickwinkel gemalt, und sind deshalb überzeugende Statements eines Gefühls der Isoliertheit, das traditionell das Phänomen der Großstadtbildes kennzeichnet.
In den freien Figurenbildern und in verschärfter Form in den Synthese-Bildern begegnen die Betrachter Hoedickes Drahtfiguren ein zweites Mal. Sie fungieren nun als technoides Bildpersonal, worüber der Künstler sich im Klaren ist, denn es wird im Bild sichtbar, dass er die Drahtfiguren-Gestalt im Tafelbildzusammenhang als Teil einer neuen Materialität und damit auch einer veränderten Erkenntnisform mitdenkt. Von Bild zu Bild probiert Hoedicke alternative Konstellationen aus. Er sucht visuelle Reizquellen, variiert die Perspektiven, Intensiviert psychologische Momente und zeigt das Wesen der Stadt im positiven Sinne als globalisierte und computerisierte Reibefläche, im Negativfall als Kulisse von Chaos, Zerstörung und Ausweglosigkeit (Hinterhof, 2015, Seite 13). Stadt kann für Menschen Sehnsuchtsort oder Verlustort sein. Hoedicke formalisiert aktuelles Geschehen, ohne sich ihm auszuliefern. Er lässt seine Formen mit Gesehenem und Erlebtem (auch dem Eigenleben von Malerei) korrespondieren, was gerade in den unerwarteten Wendungen frappierend gelingt Neugierig und modern entwickelt der Künstler narrative Fiktionen, oder er verdichtet Schauplätze des Malerischen zum Gleichnis. Gerade dann, wenn Strukturendickicht ins Symbolische weist (Flüchtlinge, 2015, Seite 11), sind Hoedickes Bilder am wagemutigsten. Existentielle Entscheidungen werden auf dem Schauplatz der Postmoderne hinterfragt (Good morning NSA, 2015, Seite 13). Wie Hoedicke dabei unsere digitalen Erfahrung durch Malerei repräsentiert, wie er diverse Stile aufruft, ein Bild beispielsweise wie in einer Mehrebenenanalyse (Multilevel Analysis) behandelt (Atelier, 2015, Seite 43), das öffnet den Blick aufZukünftiges. Andere Bilder sehen aus als würde der Künstler seine Bildbausteine ordnen, um die eigene Verfahrensweise einem kritischen Blick zu unterziehen. Ihre Herkunft, nämlich einem konkreten figurativen Ort entlockt worden zu sein, verleugnen sie nicht, aber sie verhalten sich wie Raumstationen, zukunftsoffen, ansteuerbar aus dem Morgen. Jedes weitere Bild wird damit zum Treibstoff für neue malerische Versuche und zu einer avancierten Bühne für seine Space Heroes.
Christoph Tannert
1+2 Jonas Hoedicke im Gespräch mit dem Autor im Atelier des Künstlers – Berlin, 01.06.2016